Insekten-Desensibilisierung

Spinnen, Schlangen, Kakerlaken – Meine Angstbewältigung

11. Juli 2019
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8 Min.
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Kategorien: Alle | Challenges | Logbuch
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Die Chile-Vogelspinne Cosima und ich kommen uns näher
Die Chile-Vogelspinne Cosima und ich kommen uns näher
8 Min.Ich habe ein Spinnenproblem. Nein, keine Phobie. Aber freiwillig so ein Vieh anfassen? Niemals. Da ich auf meinen Dschungeltrips mit Insekten, Kriech- und sonstigen Tieren rechnen muss - bissig, giftig oder nicht - ist es an der Zeit, meine Angst genauer unter die Lupe zu nehmen: Ich unterziehe mich einer Desensibilisierung.

Ich sitze am Küchentisch von Holger Kirk, Biologe und Betreiber der Website spinnen-angst.de, und blättere in einem Kinderbuch.

Das ist auch der Weg für extreme Spinnenphobiker, die sich nicht einmal Fotos der Achtbeiner anschauen können ohne dabei in Panik zu geraten. Ich habe keine Phobie, ich hab nur etwas zu viel, nun ja, Respekt.

Es geht weiter. Nach dem Kinderbuch präsentiert mir Holger einen WAS IST WAS-Band und dann ein wissenschaftliches Werk mit einem A bis Z über Spinnen: Von Anatomie bis Zuchtmöglichkeiten.

Meine Frau Annette und meine beiden Töchter sind mit von der Partie. Denn Ängste von Erwachsenen können sich auf Kinder übertragen und diese ebenso blockieren. Dann doch gleich ein Familien-Rundumschlag.

Wir schlüpfen nun selber in die Rolle einer Spinne und krabbeln mit einer Handpuppe über unsere Körper.

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Erste Schritte der Spinnen-Desensibilisierung: Smilla krabbelt mit einer Spinnen-Handpuppe über meinen Körper.

Dann geht das große Krabbeln weiter, mit immer echter aussehenden Exemplaren. Eine etwa fünf Zentimeter große Plastikspinne ist aus einem Meter Entfernung von einer echten Hausspinne nicht mehr zu unterscheiden. Auch sie nehme ich in die Hand und wandere mit ihr über meinen nackten Arm.

Ich komme mir ganz schön bescheuert vor.

Dabei komme ich mir ganz schön bescheuert vor. Aber mein autonomes Nervensystem schlägt nicht an. Und das spielt eine große Rolle. Denn das autonome Nervensystem startet die automatisch ablaufenden Angst-Programme. Erschrecken, Panik, Flucht sind die Folge. Genau das passiert nicht. Die behutsame Spielerei mit Stoffpuppen und Gummispinnen ist für das Wachbewusstsein – und eben auch das autonome Nervensystem – harmlos.

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Nur eine Spinne ist echt, alle anderen sind ‚Testobjekte‘ aus Gummi oder Plastik.

Im nächsten Schritt werden wir mit einer echten, ausgetrockneten Spinnenhaut konfrontiert. Das fühlt sich schon ein bisschen realer an, auch wenn sich das Ding nicht (mehr) bewegt.

Dann kommt das erste Lebendexemplar zum Einsatz: Eine kleine Hausspinne. Holger setzt sie auf den Tisch. Der Achtbeiner pest zum gegenüberliegenden Ende, dort bildet mein Arm eine Barriere. Der erste Hautkontakt. Die Spinne dreht um, nach etwa einer Minute geht ihr die Puste aus.

Spinnen sind Sprinter, keine Dauerläufer. So gemächlich dahin wandernd sieht die Spinne schon wesentlich harmloser aus als vorher. „Das liegt daran, dass Du ihre Bewegungen jetzt viel besser einschätzen und die Situation insgesamt besser kontrollieren kannst.“ Aha.

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Schon recht respekteinflößend: Eine echte Spinnenhaut.

Dann das zweite Lebendexemplar. Jetzt haben wir es schon mit einer Chile-Vogelspinne zu tun: Cosima.

Holger hält seine Hände, als wolle er einen Schneeball formen. Drinnen befindet sich Cosima. Ein Bein lugt zwischen seinen Fingern hervor. „Kommt, gebt Euch mal die Hand!“ fordert Holger uns auf.

Mit meinem langsam vortastenden Zeigfinger mache ich den ersten Handshake.

Holgers Hand öffnet sich, Cosima stapft über die Tischplatte und geht auf Tuchfühlung: Sie wandert über meinen Handrücken – und das gleich ein paar Mal. Wir kommen uns noch näher: Holger fordert mich auf, meine Hand hochzunehmen, sobald Cosima das nächsten Mal rüberwandert.

Dann ist es soweit!

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Persönliche Premiere: Mein erstes Tête-à-Tête mit einer Vogelspinne.

Ich kann es noch gar nicht fassen: Ich habe eine Vogelspinne auf der Hand. Zum ersten Mal in meinem Leben!

Doch meinen kleinen Triumph kann ich nicht auskosten, denn gleich kommt Holgers größtes Exemplar zum Einsatz: Louisa, eine Bombardier-Vogelspinne. Wir unterziehen uns dem gleichen Kennenlernritual wie mit Cosima.

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Beim Handshake mit Louisa ist das Größenverhältnis gut zu erkennen, meine Nervosität jedoch nicht.

Louisa steigt mir auf die Hand – und ein paar Minuten später setzt Holger sie mir auf den Kopf. Das ist interessanterweise ganz ok für mich, weil ich Louise dann nicht sehe.

Ergo: Spinne? Haken dran.

Was hat Holger noch im Arsenal? Skorpion, Schlange und Kakerlake. Ok, lass es uns angehen.

Auch das klappt. Mit Schlangen habe ich eh‘ kein großes Problem, bei den flitzenden Kakerlaken und den sticheligen Skorpionen schon eher.

Die Prozedur läuft jetzt genauso ab wie schon bei Cosima und Louisa.

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Auch Königgskorpion Hamlet, Kakerlake Schabi (nicht im Bild) und Schlange Hagen kommen zum Einsatz.

Ich frage mich die ganze Zeit, was los ist. Warum habe ich keine Angst? Ich bin zwar nervös, aufgeregt – aber ich ziehe nicht die Hand weg. Oder flüchte.

Mein Wunsch, in dem nebulösen Fight mit meiner Angst zu obsiegen, ist stark. Er hat durch die schrittweise, vorsichtige Desensibilisierung – und der Siegeserklärung nach jedem noch so kleinen Schritt – ordentlich Selbstbewusstsein und Munition bekommen.

Es scheint, als habe sich meine Angst aufgelöst.

Es scheint, als habe sich meine Angst aufgelöst. Einfach weg!

Holger verdeutlicht, dass die neue Körpererfahrung – das Wahrnehmen der unechten und echten Spinnen über Hand, Haut, Arme, Kopf und Bewegung – die alte Angst neurophysiologisch überschrieben und damit gelöscht habe.

Diese neue Erfahrung wirkt nicht bis ans Lebensende, man sollte hin und wieder ‚refreshen‘. Holger vergleicht das mit der Kletterei: Viele Kletterer verlieren ihre Schwindelfreiheit in der kletterfreien Zeit und müssen sie am Anfang einer Saison erst wieder antrainieren.

Ähnlich ist es mit der Angst: Die große, Panik auslösende Angst – sie kommt in der historischen Intensität wie vor der Desensibilisierung nicht wieder. Aber sie kann in mehr oder weniger geringer Intensität wieder ausgelöst werden – in unvorbereiteten Schreckmomenten, wenn Körper und Geist müde, ausgelaugt und gestresst sind.

Ich habe gelernt, dass meine Angst oft auf Unwissenheit basiert.

Dennoch: Ich habe viel über Angst gelernt. Ich habe gelernt, dass meine Angst oft auf Unwissenheit basiert. Nicht jede Spinne, Schlange oder jeder Skorpion sticht und beißt auf Teufel komm‘ heraus – wenn ich mich ruhig verhalte und den Tieren keinen Anlass gebe für ihre Angriffs- oder Verteidungeprogramme – dann kann in der Regel kaum etwas passieren.

Und ich habe gelernt, dass ich mit der Methode der Desensibilisierung auch meine anderen Ängste entmachten kann.

Ich glaube fest daran, dass auch Sie dieses Werkzeug nutzen können, um Hindernisse aus Ihrem persönlichen Weg zu räumen. Vielleicht deuten Sie die Steine, die Ihnen im Weg liegen, als wichtige Bausteine für eine erfolgreichere Zukunft.

Mehr zu Angst, deren Bewältigung (u.a. mit der ‚Babytreppe‘), wissenschaftlichen Hintergründen – in meinem Vortrag ‚Vom Schisshasen zum Alphatier – wie Sie der Angst den Garaus machen‚.

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