Canyoning, Trekking, Gletscherwandern

Schweiz – Perlen des Wallis

29. November 2024
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19 Min.
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Kategorien: Alle | Publikationen | Schweiz
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Kurz vor der Gondelstation Bettmergrat: Blick ins Fieschertal mit seinen Gipfeln Risihorn, Setzehorn und Wasenhorn.
Kurz vor der Gondelstation Bettmergrat: Blick ins Fieschertal mit seinen Gipfeln Risihorn, Setzehorn und Wasenhorn.
19 Min.J.R.R. Tokiens 'Herr der Ringe', eine private Papstaudienz und der mächtigste Gletscher der Alpen - wie hängt das alles zusammen? Das verrät dieser Bericht. In Saas-Fee und am Aletsch erkundete ich zudem Via Ferratas, Hängebrücken, Monster-Roller, köstliche einheimische Hüttenküche und abenteuerliche Gletscher.

Erschienen in:

Deutschlands größtes Naturreise-Magazin
12 Seiten | Text & Fotos

Eine Leiter? Ja, es ist eine Leiter, auf der ich balanciere, aber ich halte mich nicht an der Leiter fest. Denn diese überspannt eine Schlucht nahe Saas-Fee. Durch die Sprossen blicke ich viele Meter auf den unter mir rauschenden Wildbach. Ich fühle mich sicher. Denn ich trage einen Harnisch, der mit Seilen und zwei Karabinerhaken mit einem Stahlseil entlang der Leiter verbunden ist. Willkommen im Klettersteig Gorge Alpine!

Abrupt endet die horizontale Leiter im Nirgendwo

Die nächsten zwei Stunden hangele ich mich mit acht Gefährten und zwei Führern immer wieder von einer Schluchtseite auf die andere manchmal nur auf wenige Zentimeter breiten Holzplanken, manchmal über Hängebrücken. Zweimal gleite ich über etwas längere Strecken allein am Seil ein Gefälle herab. Mensch wird Seilbahn! Der spannendste Abschnitt führt, am Stahlsein schwebend, in eine Höhle hinein. Eine lange Leiter führt wieder hinaus – durch eine Öffnung an der Höhlendecke.

Eine lange Leiter führt aus der Höhle hinaus – durch eine Öffnung an der Höhlendecke. 

Danach einmal mehr ein Leitersteg, diesmal durch luftige Höhen an beeindruckenden Nadelbäumen vorbei. Abrupt endet die horizontale Leiter im Nirgendwo. Und jetzt!? Einmal Karabinerhaken umhängen – und schon befinde ich mich in der Vertikalen und schwebe etwa 20 Meter hinunter auf festen Boden. Schon vorbei? Schade, ich hätte noch Stunden weitermachen können. Aber der Tag hat ja erst angefangen.

Es folgen zwei spektakuläre Hängebrücken mit einer Länge von 45m und 60m

In Saas Grund stärken wir uns mit deftiger Hausmannskost, bevor der Sessellift uns zum Ausgangspunkt der Wanderung auf dem Erlebnisweg Saas-Almagell bringt. Nach einem beinahe vertikalen Aufstieg über Eisentreppen, die an den Bergflanken kleben, folgen zwei spektakuläre Hängebrücken mit einer Länge von 45m und 60m. Auf Geheiß unseres Führers betreten wir diese jeweils nur zu zweit, um den Brücken nicht zu viel Gewicht und Schwankungen zuzumuten.

Diese etwa 60 Meter lange, spektakuläre Hängebrücke auf dem Erlebnisweg Saas-Almagell darf nicht überlastet werden. Daher sollte man sie nur zu zweit überschreiten.

Im Sommer säumen zahlreiche Alpenblumen den Weg, auch dürfte dann der Blick auf die einzigartige Kulisse der Mischabelkette mit Täschhorn, Dom und Lenzspitze klarer sein als jetzt. Nach etwas über zwei Stunden haben wir fast 400 Höhenmeter hinter uns gebracht und freuen uns auf unser Ziel: die gemütliche Almagellerhütte, eingebettet in schönste Gebirgswelt, bewirtet von Urs Anthamatten. Wir stärken uns mit Urs‘ heißer Suppe, schmackhafter Hausmannskost und fallen früh ins Bett.

Und es sieht sehr danach aus, als würden wir heute mit einem weiteren guten Tag beschenkt

Hinunter mit einem Monster

„Wenn du am Morgen aufstehst und das Wetter schön ist, dann färbt die Sonne die Berggipfel ein. Ein wunderbarer Augenblick. Ich bin dann bereits am arbeiten und wenn die anderen aufstehen sind schon zwei Kuchen im Ofen.“, so Urs Anthamatten. Leider sind uns frühen Frühstücksgästen diese Kuchen nicht vergönnt. Macht nichts. Nach der morgendlichen Stärkung rüsten wir uns für den vor uns liegenden Marsch.

Urs sagt: „Ich habe ein Ziel, bei mir müssen die Gäste zufrieden sein, dann kann ich selbst zufrieden sein. Dann war jeder Tag ein guter Tag.“ Gestern war so ein guter Tag. Und es sieht sehr danach aus, als würden wir heute mit einem weiteren guten Tag beschenkt. So herzlich ist der Abschied von Urs und seiner Hütte.

Mit einem Monsterroller düse ich 11 Kilometer und 1.000 Höhenmeter talwärts nach Saas Grund, nur unterbrochen von wenigen Fotostopps wie diesen.

​Wir sind die ersten auf dem Weg. Die Vorderen scheuchen einen Alpensteinbock auf. Der Weg eröffnet immer wieder grandiose Ausblicke auf mehr als zehn über 4.000 Meter hohe Gipfel. Der Abschnitt um „Triftgrätji“ folgt der Alpenblumen-Promenade, welche rund 240 verschiedene Blumenarten inklusive Edelweiß und Enzian präsentiert. Jetzt leider nur ein Bruchteil davon, dafür umso mehr in deren Blütezeit. Unberührte Natur, unbeschreibliche Ruhe und schöne Ausblicke über das Tal in Richtung Stalden belohnen uns für die aushaltbaren Strapazen. Unsere Wanderung endet an der Station der Gondelbahn Kreuzboden, wo sich auch ein Bergsee befindet.

Den Spaß kann man sich doch nicht entgehen lassen!

​Nach dem Lunch wartet eine ganz besondere Alternative zum Hinunter mit der Gondelbahn auf uns: Der ‚Monster Scooter‘! Ein manueller Roller mit dicken Profilreifen! Den Spaß kann man sich doch nicht entgehen lassen! Während unserer Rucksäcke in der Gondelhinunter reisen, düsen wir 11 Kilometer und etwa 1.000 Höhenmeter hinunter nach Saas Grund – ohne auch nur ein einziges Mal die Füße zum Anstoßen benutzen zu müssen.

Über ihn existieren viele Anekdoten: Herbert Volken, Bergführer, Bergsteiger und ehemals als Präfekt ranghöchster Politiker des Wallis.

Auf dem Rücken des Alpen-Giganten

Mittlerweile sind wir in Visp gelandet, Ausgangspunkt zu einem weiteren Höhepunkt, von dem wir noch nichts ahnen sollten. Mit der Gondelbahn geht es hoch zur Fiescheralp auf 2.212 Meter. Nach weiteren 90 Minuten Fußmarsch entlang dem Oberen Tälli und durch den ein Kilometer langen Tälligrattunnel erreichen wir die Gletscherhütte auf 2.363 Meter. Es schneit leicht. Herrlich!

Was für ein spannendes, viele Geschichten erzählendes Gesicht

Eine Gruppe verlässt gerade die Gletscherhütte, um den Aletschgletscher zu erkunden. Deren Führer fällt mir sofort auf. Was für ein spannendes, viele Geschichten erzählendes Gesicht, vor allem seine stahlblauen Augen! Auf meine Bitte hin lässt er sich portraitieren. Später erfahre ich: Das ist Herbert Volken, ehemaliger Präfekt und damit ranghöchster Politiker des Wallis. Über ihn existieren viele Anekdoten. Hier eine wahre.

Letztes Sicherheits-Briefing bevor wir den Aletsch-Gletscher erkunden.

Vor etwa 300 Jahren wuchs das Eis im Wallis, verursachte Überschwemmungen und kostete Menschenleben. Damals erlaubte die Kirche ein Gelübde, damit die Gletscher schrumpfen. 2009 war Volken der Ansicht, dass man das Gebet umstellen müsse, damit die Gletscher wieder wachsen. Er reist nach Rom zu einer Privataudienz beim damaligen Papst Benedikt. Seine Bitte um göttlichen Beistand für Gletscherwachstum wurde erhöht. Seitdem betet man im Wallis und darüber hinaus ‚andersrum‘.

Er ist der längste, der größte, der dickste, der mächtigste

Nach der Mittagspause in der Gletscherhütte rüsten wir uns für eine Begehung des Aletschgletschers. Erst als wir dem Ungetüm aus Eis und Schnee näher kommen, begreife ich, mit welchem Giganten wir es zu tun haben.

Der Große Aletschgletscher bildet das Herzstück des UNESCO Welterbes „Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch“ und ist ein Eisstrom der Superlative: Er ist der längste (22,6 km), der größte (81,7 km), der dickste (bis 900 m) und der mächtigste (ca. 10 Milliarden Tonnen) Gletscher der Alpen! Mit 80 bis 200 Meter pro Jahr fließt er langsam ins Tal. Weil das Eis an den Seiten und am Grund durch den Reibungswiderstand langsamer fließt, entstehen Spannungen, die tiefe Spalten aufreißen.

Das Eis des Aletschgletschers bewegt sich talabwärts mit 74 bis 86 Metern pro Jahr.

Die imposanten wie weltbekannten Viertausender Eiger, Mönch, Jungfrau und das Große Fiescherhorn säumen den Gletscher und begrenzen sein Nährgebiet im Norden. Die Firnmulden Großer Aletschfirn, Jungfraufirn, Ewigschneefäld und Grüneggfirn (von Westen nach Osten) fließen am Konkordiaplatz, einer sechs Quadratkilometer großen Eisfläche, zusammen. Der Konkordiaplatz verdankt seinen Namen dem Geistesblitz eines Engländers, J. F. Hardy, der dieses Kernstück des Großen Aletschgletschers mit dem Place de la Concorde in Paris verglich.

Die Reise eines Eiskorns bis zum Gletscherende kann mehrere Tausend Jahre dauern

Unterhalb des Konkordiaplatzes wurden mit 185 bis 195 Metern pro Jahr die höchsten Fließgeschwindigkeiten gemessen. Weiter unten, im Bereich des Aletschwaldes bewegt sich das Eis talabwärts nur noch mit 74 bis 86 Meter pro Jahr. Das zuoberst im Nährgebiet entstandene Eis sinkt im Laufe der Zeit in immer größere Tiefe ab, wo es wesentlich langsamer fließt als an der Oberfläche. Daher kann die Reise eines Eiskorns bis zum Gletscherende mehrere Tausend Jahre dauern.

Pure Begeisterung über – und auf – dem Aletsch-Gletscher: Marco Barneveld (links), Gletscherführer David Kestens (rechts) und sein Sohn (Mitte).

Nach etwa 20 Minuten Fußweg gelangen wir an die Kante des Eistitanen. Wir befestigen stachelige Grödel an unseren Wanderschuhen, das gibt zusätzlichen Halt auf der Gletscherhaut aus Eis, Schnee und Firn.

Wenige Minuten später bewegen sich zwei Menschenketten raupenartig auf dem Aletsch. Es hat den Anschein als kämen wir kaum voran, die gegenüberliegende Bergkette scheint nicht näher zu kommen. Kein Wunder, denn der Gletscher ist hier fast zwei Kilometer breit.

1911 hat ein anderer Reisender hier auf dem Aletschgletscher große Augen gemacht

Neben uns tun sich tiefe, nach unten hin immer dunkelblauer werdende Eisspalten auf. Stimmen verklingen, alles staunt und wundert sich. Lautlos.

1911 hat ein anderer Reisender hier auf dem Aletschgletscher große Augen gemacht. J. R. R. Tolkien. Die mehrwöchige Schweizreise war für den damals Neunzehnjährigen sehr prägend, das weiß man aus den Briefen Tolkiens an seine Kinder, die er lange nach seiner Reise schrieb. Es gehörte damals zum guten Ton in der englischen Gesellschaft, eine Reise durch Europa zu machen.

Meister der Superlative: Der Große Aletschgletscher ist der längste (22,6 km), größte (81,7 km) und der dickste (bis 900 m) Gletscher der Alpen.

Experten nehmen an, dass der Aletschwald unterhalb des Gletschers Tolkien als Vorbild für den Düsterwald in „Herr der Ringe“ diente und dass Tolkien über den Marjälensee auf den Aletschgletscher gelangte. Auf dem Gletscher ereilte ihn der Schrecken seines Lebens: Ein Steinschlag überraschte seine Gruppe. Tolkien schrieb in seinen Briefen, er dachte, er müsse sterben. Verletzt wurde jedoch niemand.

„Der Rollibock. Gott bewahre!“

Steinschlag oder Rollibock?

Plötzlich hören auch wir herabkrachende Felsbrocken und kleinere Steine. Nichts Dramatisches. Doch Guide David macht große Augen, hebt seinen Zeigefinger und mahnt: „Der Rollibock. Gott bewahre!“ Nach ein paar Sekunden geht seine Geste in freudiges Lachen über. David erzählt uns von der Legende „Rollibock“: Der hatte die Gestalt eines großen Bocks mit langen Hörnern und feurigen Augen.

Plötzlich hören auch wir herabkrachende Felsbrocken und kleinere Steine. Nichts Dramatisches. Doch Guide David macht große Augen, hebt seinen Zeigefinger und mahnt: „Der Rollibock. Gott bewahre!“

Sein ganzer Leib war mit Eisschollen statt mit Haaren behangen. Beim stürmischen Lauf des Untiers verursachten sie ein furchtbares Klirren. Einzig mit der Kraft seiner Hörner soll er Steine und Tannen in die Luft geschleudert haben. Als Aufenthaltsort des Bocks galt der Große Aletschgletscher.

David weiter: „Wenn sich Verwegene erdreisteten, seiner zu spotten und ihn herausforderten – wehe Ihr wagt es,“, lacht David jetzt, „dann brach er plötzlich aus der Einöde hervor und rannte so geschwind, dass selbst der Schnellste ihm nicht entrinnen konnte. Nur wer sich in eine Kapelle oder ein Haus mit gesegneten Gegenständen flüchten konnte, fand Rettung. Hatten aber Rollibocks einen Unglücklichen erst einmal gepackt, wurde dieser zu Staub und Asche zermalmt.“

Dort verschlang er Herden und Hirten

Ich spüre, dass in der Gruppe eine stillschweigende Übereinkunft und eine gewisse Gehorsamkeit herrscht, so dass uns wohl eine Rollibock-Begegnung erspart bleibt. Altem Glauben nach bevölkerten auch Dämonen, Kobolde, Drachen und Riesen die hohen Alpen. So soll der Schreckhorn-Drache in der Nachbarschaft vom Grindelwald gewütet haben. Dort verschlang er Herden und Hirten, bis er von einem starken und klugen Mann endlich gebannt werden konnte.

Brendon und Hassen kehren zurück von ihrer Eggishorn-Gipfelerkundung (rechts), links erstreckt sich der Aletschgletscher hoch bis zur Konkordia, einer sechs Quadratkilometer großen Eisfläche.

Hoch aufs Eggishorn

Im Sonnenschein verlassen wir die Gletscherhütte. Der Wanderweg steigt an, Schnee bedeckt den Boden. Immer wieder werden wir mit herrlichen Ausblicken auf den Aletschgletscher belohnt. Für einen Blick auf das Matterhorn oder Mont Blanc reicht es heute nicht und niemand beschwert sich. Die zunehmender Höhe erlaubt uns nun auch weite Blicke in den Osten hinein, auf grandiose Bergketten. Nach einem letzten, etwas steileren Stück gelangen wir zur Gondelstation Bettmergrat. Hier verweilen wir, genießen ein letztes Mal den grandiosen Ausblick auf den Aletschtitanen und das Eggishorn.

Können diese Berge jemals jemanden gehören?

Johann Siegen schrieb 1921 in seinem Gletschermärchen: „Wer kennt das geheimnisvolle Leben dieser Riesen, die tot sind und doch leben, die stille stehen und doch vor- und rückwärts gehen, die leblos daliegen und doch immer anders sich gestalten, die schweigsam sind und doch mit Donnerstimme rufen […] ?“

 Der Blick auf mächtige, fast unvergänglich erscheinende Gletscher, das macht empfindsame Reisende demütig. Eine Frage drängt sich auf: Können diese Berge jemals jemanden gehören? Oder sind sie Teil eines gemeinsamen Erbes, das es zu schützen und weiterzugeben gilt? Wer sich für Letzteres entscheidet, sollte sich noch eine weitere zentrale Frage stellen: Tragen meine persönlichen Handlungen zur Förderung des Erbes bei?

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