Eine Reise ins Herz des Dschungels

Naturwunder in Ecuadors Amazonas

28. April 2025
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Ein Kappennaschvogel (Chlorophanes spiza) im Dschungel nahe der Sacha Lodge.
Ein Kappennaschvogel (Chlorophanes spiza) im Dschungel nahe der Sacha Lodge.
24 Min.Es ist ein Ort des grenzenlosen Staunens: Hier, hoch oben auf dem Kapok-Aussichtsturm der Sacha Lodge breitet sich bis zum Horizont ein grünes Meer aus, voll von aberwitzigen exotischen Tieren und Pflanzen. Und zwischen mächtigen Urwaldriesen und verborgenen Wasserwegen hüten Indigene das zeitlose Wissen des Regenwaldes.

Erschienen in:

Deutschlands größtes Naturreise-Magazin
12 Seiten | Text & Fotos

Flusseise ins Herz

„Der Napo ist mehr als ein Fluss – er ist das pulsierende Herz unseres Landes, die Lebensader der Völker des Waldes“, hatte der ecuadorianische Gelehrte Pedro Maldonado im 18. Jahrhundert geschrieben. Seine Worte hallen in meinem Kopf wider, während ein 18 Meter langes Motorboot meine Begleiter, acht Reiseagenten und -Journalisten, und mich Ecuadors längstem Fluss Río Napo hinab transportiert.

Auf dunklen schmalen Kanälen fahren wir in den Dschungel

 Die Nord- und Südufer des Flusses liegen zwischen ein und drei Kilometer voneinander entfernt. Auf der Wasseroberfläche tanzt ein natürlicher Schaum, entstanden durch aufgewirbelte organische Nährstoffe. Entlang der Ufer leuchten tausend verschiedene Grüntöne.

Nach zwei Stunden legen wir an, wandern einen Kilometer auf einem Holzplankenpfad, um dann in Kanus umzusteigen, mit denen wir auf dunklen schmalen Kanälen in den Dschungel fahren.

Der größte Eisvogel des Amazonas: Der Rotbrustfischer.

„Die dunklere Wasserfärbung ist eine Folge des hohen Gehalts an Humusstoffen“, erklärt unser Naturführer Christian Zavala. „Sie entstehen durch den Zerfall von Blättern, Holz, Wurzeln und anderen pflanzlichen und tierischen Resten.“ Während er spricht, verscheucht unser Boot einen pechschwarzen Rabengeier, dessen hellgraues Kopf- und Halsgefieder wie eine warnende Maske erscheint.

Ihr pausenloses Gezetere klingt wie ein nie endendes Streitgespräch

Wir erspähen den größten Eisvogel des Amazonas, einen Rotbrustfischer. Handtellergroße Libellen tanzen durch die schwülwarme Luft. An einem Ast über uns thront ein gewaltiges Bienennest. Zwei Rotbaucharas fliegen über uns hinweg, ihr pausenloses Gezetere klingt wie ein nie endendes Streitgespräch. Ein einsamer Ecuador-Kapuzineraffe bewegt sich gemächlich durchs Geäst. „Ein Affe, der allein zurückgelassen wurde“, sagt Christian leise, „ist meist krank oder alt.“

Täglich zweimal hat man als Gast der Sacha Lodge die Möglichkeit, faszinierende Natur hatunah zu erleben.

Dann öffnet sich der Kanal zum Pilchicocha-See an dessen Ende ich ein Holzhaus erblicke: unser Tagesziel, die Sacha Lodge. Ein pfeifendes Kreischen durchbricht die Stille. Versteckt im Dickicht des Seeufers ruft ein junger Riesenotter nach seinen Eltern. Diese Tiere können bis zu zwei Meter lang werden und täglich acht bis zehn Kilogramm Fisch verspeisen.

Ein Musterbeispiel für nachhaltigen Tourismus

Schweizer Vision im Regenwald

Die Sacha Lodge, gegründet 1992 vom Schweizer Arnold ‚Benny‘ Ammeter, ist ein Musterbeispiel für nachhaltigen Tourismus. Sie bietet über 60 Familien aus der Region Arbeit und ist damit nicht nur der größte Arbeitgeber im Tourismussektor in Ecuadors Amazonasgebiet, sondern bietet auch eine Alternative zu umweltschädlichen Aktivitäten wie Abholzung und Ölförderung.

Das Restaurant der Sacha Lodge vom Pilchicocha-See aus gesehen. (Foto von Sacha Lodge)

Hier im 5.000 Hektar großen Reservat gibt es keine Jagd, keinen Holzeinschlag, keine Bohrungen oder sonstigen Abbau. E werden keine Tiere gefüttert oder geködert. Neunzig Prozent der Angestellten kommen aus den örtlichen Gemeinden, die Lodge verwendet vorrangig ökologische, biologisch abbaubare und wiederverwendbare Materialien. Fisch, Obst und Gemüse werden, wann immer möglich, aus der Umgebung bezogen.

Ein akustisches Amphitheater des umliegenden Regenwaldes

Die Gastfreundschaft der Mitarbeiter, ihr Stolz auf ihre Kultur und die Umwelt sind von dem Moment an zu spüren, als wir aus den Kanus steigen. Man geleitet uns über eine hölzerne Gangway zu einer Open-Air-Cabana. Hier werden die Mahlzeiten eingenommen – und auch der eine oder andere Cocktail vor oder nach dem Abendessen. Die Cabana schwebt über der schwarzen Pilchicocha-Lagune und bildet mit den kehligen Rufen der Laubfrösche und dem Zirpen der Zikaden ein akustisches Amphitheater des umliegenden Regenwaldes.

Nachtaffen sind die einzigen nachtaktiven Affen. Ihr Gewicht variiert zwischen 0,7 und 1,2 Kilogramm.

Die Artenvielfalt rund um die Lodge ist außergewöhnlich. Acht Affenarten sind hier heimisch, vom winzigen, ein halbes Pfund schweren Zwergseidenäffchen bis zum kakophonischen, 17 Pfund schweren Roten Brüllaffen.

Glückliche Besucher können Ameisenbären, Dreizehenfaultiere oder Ozelots entdecken

Nachtaffen leben in Zweiergruppen, während Totenkopfäffchen in Gruppen von mehr als 150 Tieren unterwegs sind. Neben den Affen gibt es etwa 60 weitere Säugetierarten und 50 Fledermausarten. Glückliche Besucher können Ameisenbären, Dreizehenfaultiere oder Ozelots entdecken.

Auf den engen Wasserwegen unweit der Sacha Lodge kann man Vögel, Affen, Amphibien und vieles mehr beobachten.

Erste Schritte im und über dem Dschungel

Der erste Spaziergang zu meiner Hütte auf der erhöhten Holz-Promenade führt durch dichten, überfluteten Palmenwald und angelegte Gewässer. Ich staune nicht schlecht über einen Krokodilkaiman , der seinen Kopf aus einem Teich reckt und mich anzugrinsen scheint.

Thermoregulation ist für kaltblütige Tiere essenziell

Gleich neben ihm wärmt sich eine Terekay-Schienenschildkröte auf einem Felsen auf. Dieser Prozess, der als Thermoregulation bezeichnet wird, ist für kaltblütige Tiere wie Schildkröten essenziell, da sie keine konstante Körpertemperatur halten können wie Säugetiere oder Vögel.

Eine Terekay-Schienenschildkröte.

In meiner komfortablen Hütte angekommen, lege ich mich erst einmal in die Hängematte auf der Terrasse. „Erst mal ankommen, den Regenwald langsam aufnehmen“, denke ich mir. Da raschelt es im Gebüsch. Eine paar der sehr putzigen Ecuador-Totenkopfaffen ziehen links und rechts an meiner Hütte vorbei. Ein Tier kommt näher und blickt mich mit nervösen Kopfbewegungen neugierig an.

Nur Sekunden später verschwindet er im undurchdringlichen Grün. Ecuador-Totenkopfaffen erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von etwa 30 cm und haben einen etwa 44 cm langen Schwanz. Ihr Fell ist olivgrau mit einem orangefarbenen Einschlag. Füße und Hände sind kräftig gelb-orange gefärbt.

Hunderte bunter Schmetterlinge flattern von Blüte zu Blüte

Ich schlüpfe in kniehohe Gummistiefel, denn die erste Regenwalderkundung steht an. Auf dem Weg zum Treffpunkt komme ich am ‚fliegenden Raum‘ der Sacha Lodge vorbei: Der Schmetterlingsfarm. Sie zählt zu den größten Schmetterlingsfarmen Ecuadors. Etwa 40 einheimische Arten werden hier aufgezogen. Hunderte bunter Schmetterlinge flattern von Blüte zu Blüte. Darunter Glasflügelfalter, deren Flügel zum Großteil völlig transparent sind und so hervorragende Tarnung ermöglichen.

Ein Ecuador-Totenkopfaffe. Diese Aufnahme machte ich von der Terrasse meines Häuschens in der Sacha Lodge.

Während der Ersterkundung achten wir darauf, nicht auf die vielen Armeen marschierender Blattschneideameisen zu treten. Christian erläutert: „In einem primären Regenwald wie diesem erreichen weniger als ein Prozent der Sonnenstrahlen den Waldboden! Daher gibt es nur sehr wenig Unterholz, und deswegen können wir uns überraschend einfach vorwärts bewegen.“

Weniger als ein Prozent der Sonnenstrahlen erreichen den Waldboden

Hinter einer Wegebiegung ragt plötzlich ein riesiger Stahlturm in den Himmel: Das Treppenhaus zu einem Baumwipfelpfad! Diese 275 Meter lange Brücke in 36 Metern Höhe über den Baumkronen bietet hervorragende Gelegenheit, Tiere und Pflanzen zu beobachten, die man vom Boden aus nur selten zu Gesicht bekommt. Der lange, robuste Steg thront auf drei Metalltürmen. Jetzt im Sonnenuntergang ist das Licht besonders satt und seidig.

Ein Schmetterling der Gattung Hamadryas (Nymphalidae).

Oben angekommen, erkenne ich die voluminösen Kronen von Kapokbäumen, die höchsten Bäume des Regenwaldes – mit einer Krone ähnlich einem Brokkoli. Sie werden auch als heilig erachtet, weil sie alles zu überblicken scheinen. Christian ergänzt: „Sie sind auch das Zuhause von Jaguaren. Wusstet Ihr, dass Jaguare 4 bis 5 Meter tief tauchen können? Sie fressen auch Schildkröten, weil sie deren Panzer knacken können. Und sie vertilgen hin und wieder Kaimane, indem sie ihnen in den Kopf beißen.“

Schwebebussard – sein Name stammt von seinem einzigartigen Flugstil

Jetzt sehen wir einen Schwebebussard. Sein Name kommt von seinem einzigartigen Flugstil: Er gleitet elegant durch die Luft, und es scheint, als ob er tatsächlich bewegungslos in der Luft schwebt. Als die Dämmerung in Dunkelheit übergeht, kehren wir zurück zur Lodge, begleitet vom vielstimmigen Konzert der erwachenden Nachttiere.

Eine der Besonderheiten der Sacha Lodge ist diese 36 Meter hohe und 275 Meter lange lange Hängebrücke über dem Regenwald.

Vogelshow im Kapokbaum

Das Paddeln auf den schmalen Seitenarmen des Napo Rivers wirkt auf mich beruhigend wie eine grüne Wellnessoase. Nach einer halben Stunde Bootsfahrt und zehn Minuten Fußmarsch erscheint er dann vor uns: ein 43 Meter hoher Aussichtsturm, errichtet an einem massiven Kapokbaum. Wie eine Kletterpflanze windet sich die Stahltreppe in den Himmel. Auf dem Weg nach oben breiten sich riesige Äste aus, bedeckt mit Bromelien, Moosen, Lianen, Farnen und Flechten.

Ein tiefes Brüllen durchdringt den Morgennebel

Ein tiefes Brüllen durchdringt den Morgennebel: Brüllaffen! Ihr intensiver Ruf, mit dem sie ihr Territorium markieren, schallt bis zu fünf Kilometer durch den Regenwald. Oben angekommen berichtet unser Guide Christian: „Von den 1.600 Vogelarten, die in Ecuador existieren, wurden 587 Vögel, also 37 Prozent, im Gebiet der Sacha Lodge gesichtet. Das sind fast 7 Prozent der auf der ganzen Welt vorkommenden Arten!“

Eine Schwarznackenbekarde (Tityra cayana).

Mit dem Morgenlicht erscheinen dann die ersten Vögel. Unermüdlich zeigt Christian alle paar Sekunden in eine andere Richtung, nennt Vogelnamen so schnell, dass mein Kopf schwirrt, vor Aufregung, aber auch vor Freude. Ein neuer Begriff prägt sich ein, den Christian häufig nennt: „Se fue“ – weg ist er.​

Sie können bis zu sieben Vogelarten imitieren

Einige der gefiederten Schönheiten lassen sich Zeit für ein Porträt. Der Gelbbauch-Attilatyrann huscht vorbei, gefolgt vom Kappennaschvogel und dem Orange-Tupfenbartvogel. Eine Schwarznackenbekarde lässt sich auf einem nahen Ast nieder. „Sie können bis zu sieben Vogelarten imitieren“, erläutert Christian, „darunter Raubvögel wie Falken. Diese Täuschung hält nicht nur potenzielle Räuber von ihren Nestern fern, sondern schreckt auch Konkurrenten um Nistplätze und Nahrung ab.“

Ein Purpurbrustkotinga (Querula purpurata).

Die Vogelshow erreicht ihren Höhepunkt, als ein Vogel mit tiefschwarzem Gefieder und schillernd purpurfarbener Brust landet. Christian stöhnt verzückt: „Ein Purpurbrustkotinga! Die sind bekannt für ihre beeindruckenden Balzrituale.“
Wenig später erscheint ein vielfarbenprächtiger Braunohrarassari aus der Familie der Tukane.

Der große, gebogene Schnabel vervollständigt seine majestätische Erscheinung

Seine kastanienbraune Färbung um die Ohren, die leuchtend gelbe Brust mit rotem Band und das grünlich schimmernde Gefieder auf Rücken und Flügeln bieten ein faszinierendes Farbenspiel. Der große, gebogene Schnabel vervollständigt seine majestätische Erscheinung.

Ein Braunohrarassari, der zur Familie der Tukane gehört.

Es ist gerade mal kurz nach acht Uhr, als wir langsam zurück zur Lodge paddeln – schweigend, glücklich, tief beeindruckt. Da raschelt es plötzlich weit über uns in einer Baumkrone: ein Totenkopfäffchen. Das Rascheln vervielfacht sich und erklingt aus allen Richtungen.

Eine Gruppe von etwa dreißig Tieren – große, kleine, junge, alte – bewegt sich durch die Baumkronen. Einige verständigen sich mit einem sanften „chirp-chirp“ oder „peep-peep“, vermutlich um ihre Position zu signalisieren und die Gruppe zusammenzuhalten.

Dieser Moment verlangt nach ungeteilter Aufmerksamkeit

Meine Kameras lasse ich ruhen. Dieser Moment verlangt nach ungeteilter Aufmerksamkeit. Die Äffchen springen akrobatisch von Ast zu Ast, manche scheinen über den Wasserkanal zu fliegen, so enorm ist ihre Sprungkraft. Einige nagen an Ästen, andere kommen näher, betrachten uns neugierig, bevor sie sich unter Gekreische wieder der Gruppe anschließen.

Nach wenigen Minuten ist von den Äffchen nichts mehr zu sehen. Nur das sanfte Plätschern unserer Paddel begleitet uns auf dem Rückweg zur Lodge.

Eine Gelbbürzelkassike (Cacicus cela) im Dschungel nahe der Sacha Lodge.

Zu Gast bei Amazoniens Ureinwohnern

Als unser Motorboot den träge dahinfließenden Napo-Fluss durchpflügt, erklärt Naturführer Jarol Vaca die Einzigartigkeit unseres heutigen Ziels: „Der Yasuní-Nationalpark, den wir gleich erreichen, beherbergt auf einem einzigen Hektar über 640 Baum- und Buscharten – mehr als alle einheimischen Baumarten der USA und Kanada zusammen.“ Er macht eine bedeutungsvolle Pause. „Und die Insektenvielfalt? Unübertroffen. Schätzungsweise 100.000 Arten pro Hektar.“

„Das ist ein Hoatzin, auch Stinkvogel genannt – und das nicht ohne Grund.“

Ein bunter, fasanartiger Vogel landet etwas tapsig auf einem überhängenden Ast. Scharen von Fliegen umschwirren ihn. „Das ist ein Hoatzin“, flüstert Jarol, „auch Stinkvogel genannt – und das nicht ohne Grund.“ Der Vogel verdaut seine Nahrung so langsam, dass sie fermentiert und einen durchdringenden Geruch verströmt.

„Aber das Faszinierendste sind die Jungtiere“, fährt er fort. „Bei Gefahr springen sie ins Wasser und klettern dank spezieller Krallen in ihren Flügeln wieder am Stamm empor – eine Fähigkeit, die sie nach etwa einem Jahr verlieren. Manche Wissenschaftler vermuten darin eine direkte genetische Verbindung zu den Dinosauriern.“

Ein Hoatzin, auch Stinkvogel genannt. Sein Fleisch gilt bei Indigenen als ungenießbar. Das liegt unter anderen an der sehr langsamen Verdauung, bei der ein Teil der Nahrung fermentiert wird und das Fleisch den entstehenden Geruch aufnimmt.

Nach dem Anlegen am Ufer und ein paar Minuten Fußmarsch taucht vor uns die Kichwa-Gemeinde Providencia auf: Hohe, spitze Strohdächer ruhen auf offenen Holzkonstruktionen, die sich auf Stelzen erheben. Cinthia Andi und ihre Tochter Smilla empfangen uns mit einem warmen Lächeln.

Die Gemeinschaft zählt 150 Bewohner, von denen einige eine Stunde Fußmarsch entfernt leben. Ihre Felder bewirtschaften sie in unmittelbarer Nähe des Napo, dessen nährstoffreiches Wasser wie ein natürlicher Dünger wirkt.

Guayusa hilft auch gegen Kopfschmerzen, als Balsam und als natürliches Moskito-Repellent

Cinthia reicht uns Guayusa, ein teeartiges Aufgussgetränk, das die Kichwa traditionell am frühen Morgen aus einer flachen Kalebasse trinken. Ein frisches Blatt enthält bis zu zwei Prozent Koffein, getrocknete sogar bis zu sieben – die höchste bekannte Konzentration in der Pflanzenwelt. Jarol fügt hinzu: „In der Morgendämmerung versammeln sich die Familien zum gemeinsamen Morgentrank.

Dann nehmen sie sich viel Zeit, um ihre Träume zu teilen. Anschließend besprechen sie die Aufgaben des Tages.“ Guayusa hilft auch gegen Kopfschmerzen, als Balsam und als natürliches Moskito-Repellent. Wissenschaftliche Studien bestätigen seine antibakteriellen Eigenschaften.

Mutter Cinthia und Tochter Smilla Andi sind zwei Mitglieder der etwa 150 Personen umfassenden, sehr traditionellen Nueva Providencia Community.

Drei türkisblaue Morpho-Schmetterlinge tanzen über den Maniokfeldern. Cinthia führt uns zu einem Annattostrauch. Sie öffnet eine stachelige rote Kapselfrucht, die leuchtend rote Samen freigibt. Das darin enthaltene Pigment Bixin dient als Lebensmittelfarbe und seit unzähligen Generationen als Körperbemalung, Sonnenschutz und Heilmittel.

Diese Sagowürmer leben in verrottendem Holz oder Palmen

Zurück in der Hütte erwartet uns eine lokale Delikatesse: am Spieß geröstete Maden des Roten Palmrüsslers. Jarols Augen leuchten: „Diese Sagowürmer leben in verrottendem Holz oder Palmen. Sie sind proteinreich und haben einen nussigen Geschmack.“ Nach anfänglichem Zögern wagen wir uns an die gegrillte Variante. Dann präsentiert Cinthia lebende Exemplare. Während wir dankend ablehnen, schnappt sich die kleine Smilla beherzt eine Made, beißt hinein und grinst uns unvergesslich stolz an.

Eine Delikatesse des Amazonas: Geröstete Palmkäferlarven! Diese auch Sagowürmer (Rhynchophorus ferrugineus) genannten Larven leben in verrottendem Holz oder in Palmen, sind reich an Protein und schmecken nussig.

Die Kichwa leben nach drei fundamentalen Grundregeln: nicht faul sein, keine Lügen erzählen, nicht stehlen. Ihr Konzept des sumak kawsay, des ‚guten Lebens‘, geht weit über materielle Bedürfnisse hinaus. Es beschreibt eine tiefe Harmonie zwischen Mensch, Gemeinschaft und Natur – ein Prinzip von solcher Bedeutung, dass es Eingang in die ecuadorianische Verfassung fand. Eng damit verbunden ist ayni, ein System des gegenseitigen Gebens und Nehmens, das die natürliche Zirkulation allen Lebens widerspiegelt.

Wir sind Teil eines größeren Ganzen, eingebettet in den atemberaubenden Rhythmus der Natur

Der Yasuní-Nationalpark nimmt nur 0,15 Prozent der Gesamtfläche Amazoniens ein, beherbergt aber ein Drittel aller amazonischen Reptilien-, Vogel- und Säugetierarten. In seinen Tiefen leben die Stämme der Tagaeri und Taromenane in freiwilliger Isolation. „Vor einigen Jahren machten sich zwei Mutige auf den Weg zu ihnen“, erzählt Jarol mit gesenkter Stimme. „Sie sind bis heute nicht zurückgekehrt.“

Hier, wo die Grenze zwischen Natur und Kultur verschwimmt, bewahren die Kichwa einen Lebensstil, der mich an oft vergessene Wahrheiten erinnert: dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, eingebettet in den atemberaubenden Rhythmus der Natur.

Aussichtsturm, ca. 40 Meter hoch. Alle Bauteile sind manuell herbeigeschaft und zusammengesetzt worden.

Wo der Amazonas seine Geheimnisse bewahrt

„Die wahren Gelehrten des Amazonas sind seine indigenen Bewohner – ihr Wissen über den Wald übertrifft jedes Lehrbuch“, schrieb der Naturforscher Henry Walter Bates bereits 1850. Das Zitat hat heute noch Gültigkeit.

Früher beflügelten Legenden von Monstern und Giganten die Fantasie der Menschen

Jetzt blicke ich von einem anderen Aussichtsturm der Sacha Lodge ein letztes Mal über den mächtigen Napo und das endlose Grün drumherum. Wo früher Legenden von Monstern und Giganten die Fantasie der Menschen beflügelten, offenbart sich dem Besucher heute ein faszinierendes Ökosystem voller Farbenpracht, zeitloser indigener Werte, hypnotisierender Naturklänge und Reichtümer an Flora und Fauna.

Blick auf den Napo River, unweit der Sacha Lodge.

Ökolodges wie die Sacha Lodge sind Fenster in diese verborgene Welt. Hier verschmelzen Entschleunigung und Entdeckerdrang.
Irgendwo in der Ferne durchbricht der virtuose Gesang eines mir unbekannten Vogels die abendliche Stille. Es ist, als wolle der Amazonas zum Abschied daran erinnern, dass er ein Ort des grenzenlosen Staunens bleibt.

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