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Deutschlands größtes Naturreise-Magazin
12 Seiten | Text & Fotos
Herumtigern im Dschungel
Heute Morgen hat man uns in Pekanbaru aufgelesen, drei Stunden im Bus kutschiert, auf Boote umgesattelt und nach weiteren 30 Minuten flussaufwärts am Ufer des Subayang abgesetzt. Hier, mitten im Urwald, hat der WWF eine Forschungsstation aus solidem Holz gebaut. Unser Zuhause für die kommenden 14 Tage.
Für diese Zeit schlüpfen wir im Naturreservat Rimbang Baling in die Rolle eines Feldforschers und sammeln tief im Regenwald wertvolle Daten zum Schutze des Sumatra Tigers. Weltweit bietet die gemeinnützige Naturschutzorganisation Biosphere solche Freiwilligenprogramme an.
Expeditionsleiterin Ida fährt fort: Malaria, giftige Frösche, Schlangenbisse. Akkurat bereiten sie und WWF-Tigerexperte Febri auf die Einsätze vor. Schon bald nach dem schauerlichen Gefahrenbriefing lernen wir GPS-Geräte zu bedienen, Karte und Kompass einzunorden und mit dem Schlangengift-Extraktor zu hantieren.
Und was bitte soll diese komische Hupe hier? „Das ist ein Signalhorn.“ erklärt Febri, „Damit verscheuchst du den Tiger, wenn du ihn siehst.“ Aha.
„In den 30er Jahren sind die Tiger auf Bali ausgestorben, in den 70er auf Java, Sumatra ist jetzt der letzte Zufluchtsort von ganz Indonesien.“ klärt mich Peter, einer der Expeditionsteilnehmer, auf.
Wenn der charmante Wiener Kettenraucher nicht gerade Kristallleuchter baut, verbringt er jede freie Minute im Regenwald, seit über 30 Jahren. „Hier auf Sumatra hat er es besonders schwer: Wenn die Abholzung so weitergeht, dann steht hier in 20 Jahren kein einziger Baum mehr. Und das sage nicht ich, das sagt Greenpeace.“
„Damit verscheuchst du den Tiger, wenn du ihn siehst.“
Ich verstehe, warum der Sumatra Tiger als ‘kritisch gefährdet‘ auf der Roten Liste eingestuft ist. Dass es so dramatisch ist, habe ich nicht gedacht. Höchste Zeit, etwas zu tun! Biosphere und WWF gehen mit gutem Beispiel voran.
Von Febri lerne ich: Das Überleben von Tigern kann gesichert werden, erfordert aber einige Maßnahmen. Darunter: Ständige Überwachung des Habitats. Genau deswegen sind die Freiwilligen hier. Also ab in die Boote!
Vorher muss ich noch eine beachtliche Spinne aus meinem Schuh angeln. Obacht ist angesagt. Manchmal können sich dort auch Skorpione hineinverirren, deren Biss ist deutlich unangenehmer. Wir tuckern flussaufwärts, viele Boote kommen uns entgegen. Alle Menschen und Güter werden auf dem Fluss transportiert, Straßen gibt es hier keine.
Das Dschungelterrain ist in 2×2 km große Parzellen unterteilt. In einer dieser Parzellen wollen wir nun den Zustand erkunden. Am Ausgangspunkt angekommen, geht es watend durch Bäche und Gräben in den Dschungel, manchmal in Bauchnabeltiefe.
Nach wenigen Minuten stoßen wir auf Überreste von Dipterocarp-Bäumen: Aus ihrem Holz werden gerne hochwertige Möbel gefertigt. Händler zahlen bis zu 30 Euro pro Stamm. Die illegale Fällung wird mit Geokoordinaten auf speziellen Papierbögen festgehalten – und abends im WWF Zentrum in eine zentrale Datenbank eingepflegt.
In Rimbang Baling dominieren Hügel und Steilhänge von 20 bis 90 Grad. Das macht sich jetzt in unseren Beinen bemerkbar. Bei 32 Grad Celsius kraxeln, rutschen und gleiten wir durchs Terrain.
Machetenmann Arga führt den schweißtreibenden Hindernislauf an. Rote Flecken auf Hemd und Hose erscheinen – das sind die flinken Blutegel. Ihr Biss ist harmlos, aber die Blutung gerinnt nur langsam, weil der durstige Wurm blutverdünnenden Speichel einsetzt.
Febri deutet auf einen Baum: Die spitzen Krallen des Malayenbären zogen hier tiefe Furchen in die Rinde. Während wir das aufzeichnen, hören wir Jubelschreie: Im weichen Sand des Bachbetts haben Ida und Arga Hufspuren entdeckt! Schnell ist das Bestimmungshandbuch gezückt und ein ‚Barking Deer‘, auf deutsch Muntjak, identifiziert, eine Tiger-Leibspeise. Das ist eine gute Nachricht.
Im Basecamp fließt der Strom vom Einbruch der Dunkelheit bis zum Morgengrauen, wir belohnen uns daher mit nur lauwarmem Bier. Kaum kühler ist der Subayang River, der Pool für die Freiwilligenpatrouille. Rasch bin ich dort von kleinen Fischen umkreist. Die überfallen mich mit Kitzelattacken, in dem sie Hautreste abzwacken.
Plötzlich durchfährt mich ein schneidender Schmerz: Etwas beißt ein Stück meines Zehs ab! Rasch humpele ich zurück zum Basecamp. Während ich meine Wunde mit Pflastern verklebe, blättert Peter aufgeregt im Bestimmungsbuch: „No da schau hea, des woa a Weichschildkrötn!“. Die lauerte im Sand und als mein Zeh vor ihrer Nase wedelte, schnappte sie zu. Das kann ich ihr nicht verübeln.
„Sein Brüllen bringt Unglück, unser Dorf ist dann in Gefahr.“
Ein paar Stunden später zum Morgengrauen heulen und jaulen die Siamang Gibbons ihr Morgenliedchen. Heute ist ‚Interview-Tag‘. „Haben Sie schon einmal einen Tiger gesehen?“ Im Dorf Tam Jung Belit befragt Neil, Biosphere-Gast und Umweltaktivist aus Italien, den Bauern Yusri.
Interviews mit der lokalen Bevölkerung sind wichtiger Bestandteil der Forschung. „2008 habe ich einen gehört.“ antwortet Yuri, „Drei Kilometer von hier. Sein Brüllen bringt Unglück, unser Dorf ist dann in Gefahr.“
Die Mythen und Legenden sitzen tief und nicht immer sympathisieren die Locals mit ‚Harimau‘ – so die indonesische Bezeichnung für Tiger. „Je tiefer man in den Dschungel vorstößt, umso mehr wird der Tiger als Beutefeind angesehen.“ ergänzt Expeditionsleiterin Ida.
Hier, in den Köpfen, setzt die Arbeit des WWF Community Education Programms an.
Mit den WWF-Lehrerinnen Antika und Syamsidar tuckere ich vier Stunden flussaufwärts bis zum letzten Flecken vor der Quelle des Subayang River. Mit an Bord: Zwei Flößer, die das Boot alle paar Minuten mit langen robusten Stöcken über die Untiefen des Flusses hieven. Ein Knochenjob.
Im Dorf ankommen heißt es zunächst: Anstandsbesuch beim Häuptling. Er nickt wohlwollend – und wir dürfen ein Ausbildungs- und Nachtlager im Haus seines Nachbarn einrichten.
Es ist stockfinster als die ersten Frauen den Raum betreten. Eben waren sie noch zum Freitagsgebet in der Moschee. WWF-Lehrerin Antika unterrichtet Lesen und Schreiben. Für viele Frauen ist dies die erste Schule, die sie in ihrem Leben besuchen. Jede Frau im Sitzkreis liest das ABC vom Whiteboard ab, ihre Blätter füllen sie mit selbstgeschriebenen Buchstaben, viele Kinder schauen zu, einige helfen ihren Müttern und Großmüttern. Und es wird viel gelacht.
Zum Schluss der Unterrichtsstunde wird reihum eine Jäger-Tiger-Geschichte gelesen, in dem sich der Tiger als Held entpuppt. So merzt man archaische Feindbilder aus.
Danach Pause im WWF-Lesehaus, ein Karton mit Limonadenpacks ist in Sekunden ausgeräubert. Abgekämpft vertiefen sich die Kinder in WWF-Tigercomics.
Wir nehmen Abschied. Stromabwärts läuft das Boot schnell. Nach zwei Stunden legen wir an und steigen um in einen Geländewagen, der uns zur WWF Tiger Protection Unit, kurz TPU, transportiert.
Es regnet ohne Pause, stundenlang. Wir biegen von der Hauptstraße ab und nehmen Jon Hendra, den durchnässten Chef der TPU, auf. „Noch 26 Kilometer Schlammpiste!“ begrüßt er uns lachend. Die Nacht bricht ein. Der Jeep jault, schüttelt uns durch, wir werden immer langsamer. Plötzlich Stillstand. Nur noch das Wiehern durchdrehender Reifen ist zu hören. Der Geruch angebrannten Gummis steigt uns in die Nasen.
„Noch 26 Kilometer Schlammpiste!“, begrüßt er uns lachend.
Mehrere TPU Busch-Teams, bestehend aus je vier Wildhütern, durchkämmen ständig das riesige Areal. Ihre ständige Präsenz schreckt Wilderer ab, sie sammeln Daten über den Lebensraum der Tiger und zerstören illegale Fallen. Allein 2015 beseitigen die Ranger über 100 Drahtschlingen.
Die mobilen Teams hingegen besuchen umliegende Dörfer und machen durch geschickte Gesprächsführung Wilderer ausfindig. Behutsam bauen sie Kontakte auf und sammeln Beweise. Es dauert bis zu einem Jahr, bevor ein Wilderer vom mobilen Team zur Rede gestellt wird. Der Beschuldigte kann dann der Wilderei öffentlich abschwören. Oder ins Gefängnis wandern.
Am nächsten Morgen geht’s los. Wege gibt es keine, querfeldein ziehen wir durch den Wald, angeführt von Masrizal, der uns mit seiner Machete eine Schneise schlägt. Über Stunden nur gigantische Wurzelstränge, Äste, Schlinglianen, Matsch, morsche Stämme, Dornen – mein Blick gefesselt auf Hände und Füße. Greifen, halten, rutschen, arschbremsen – gut, dass ich vorher ein paar Tage mit Biosphere trainieren konnte.
Kein Zivilisationslaut ist zu hören – nur Zirpen, Windgeräusche, Schritte, Atmung und der eigene Puls. Auf einer Anhöhe gibt die Baumdecke eine Lücke frei – Wind zieht durch und kühlt unsere dampfenden Körper. Ewig könnte ich hier stehenbleiben.
Wir entdecken Tapirspuren, Bärenkratzer und viele illegal gefällte Baumstämme. Alles wird akribisch auf Datenblättern dokumentiert. „Wie stehen denn die Chancen auf einen Tiger?“, möchte ich wissen. Heiteres Kopfschütteln bei den Rangern. „Seit 2004 gibt es die TPU.“, antwortet Atan ‚ „Nur viermal wurde ein Tiger gesichtet.“
Spätnachmittags erreichen wir einen größeren Fluss., „Nur noch ein paar Minuten flussaufwärts liegt ein Wasserfall, da schlagen wir unsere Zelte auf.“ informiert Siid. Zwei Ranger gehen vor, um den Zeltplatz zu inspizieren. Nach ein paar Minuten sind sie zurück. Aufgeregte Worte auf Bahasa, der Hauptsprache Indonesiens, gehen hin und her. Nuri wendet sich mir zu: „Wir können da oben nicht zelten. Im Wasser liegt ein 7 Meter langer Phython.“
„Wir können da oben nicht zelten. Im Wasser liegt ein 7 Meter langer Phython.“
Wir werden von Sturzregen geweckt. Ich nutze eine kurze Regenpause, um meine Drohne zu starten. Vorsichtig lotse ich sie an den mächtigen Baumgipfeln vorbei. Dann zeigt mein Handybildschirm das Blickfeld der Drohnenkamera: Endlose Wälder, betupft mit Wolken, durchzogen von Regenvorhängen.
Der Regen setzt wieder ein und hält uns für drei weitere Stunden unter der Plane gefangen. Danach nehmen wir die direkte Route zurück zum TPU Basecamp – GPS sei Dank. In der Zeit bis zur Rückfahrt zum Flughafen dokumentiere ich dort den TPU-Alltag: Einsatzbesprechungen, Trainieren, Kochen. Dabei geht mir das Bild vom endlosen Regenwald nicht mehr aus dem Kopf.
Nur langsam sortieren sich meine Gefühle und Gedanken. Nach tagelangem Umherspähen im dunklen Wald schenkte diese Vogelperspektive eine kontrastierende Offenbarung: Einen erleuchtenden Weitblick – ohne Zeichen von Zivilisation, einen Ur-Zustand – seit Millionen von Jahren unverändert. In diesen Wäldern lebten unsere Vorfahren – über Hundertausende von Jahren.
Vielleicht ist es ja eine Art Heimat-Gen aus jener Zeit, dass uns heute mit Wehmut und Demut erfüllt, wenn wir solche gewaltigen Naturlandschaften erblicken. Tun wir alles dafür, diese zu erhalten.
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