Dschungeltour

Einmal quer durch Panama – zu Fuss

15. April 2025
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Kategorien: Alle | Die Welt | Panama | Publikationen
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Irvin Torribio zeigt Ambros und Javier einen Geoffroy-Perückenaffen, den er kurz zuvor in einem Baum entdeckt hat.
Irvin Torribio zeigt Ambros und Javier einen Geoffroy-Perückenaffen, den er kurz zuvor in einem Baum entdeckt hat.
18 Min.Der vergessene Schatzpfad: Man kann Panama nicht nur auf dem gleichnamigen Kanal durchqueren, sondern auch im Rahmen einer schweißtreibenden Wanderung. Die Expedition durch den Dschungel auf dem historischen Camino Real ist eine Grenzerfahrung.

Erschienen in:

Deutschlands drittgrößte überregionale Tageszeitung
Reichweite: 769.000 Leser

Es ist eine elende Plackerei. Aber jeden Augenblick wert! Die Gedanken oszillieren zwischen Verwünschung und Verzückung. Seit acht Stunden kämpfen sich sieben Wandergenossen durch den dichten Regenwald Panamas, angeführt vom erfahrenen Führer und Machetenvirtuosen Molinar Torribio.

Wir folgen dem historischen Handelspfad Camino Real, von dem, etwa 165 Jahre nach seiner letzten wirtschaftlichen Nutzung, kaum mehr als eine vage Erinnerung übrig geblieben ist. Der Dschungel hat sich längst fast alle Kopfsteinpflastersteine, Begrenzungen und Markierungen einverleibt oder weggespült. Vielleicht will die Natur damit zeigen: Alles Menschliche ist vergänglich.

Genau hier fing der Camino Real an

„Genau hier wurden erstmals 1519 Maultiere mit Silberbarren, Gold und anderen Konquistadoren-Raubschätzen aus Peru beladen. Genau hier, in der Altstadt von Panama-Stadt, der ersten europäischen Gründung am Pazifik, fing der Camino Real an“, erklärt Christian Strassnig, während sein ausgestreckter Finger vom vor uns liegenden Platz in Richtung Norden wandert, „und dort, fünf Tage und neunzig Kilometer entfernt, in Portobelo an der Karibikküste, war er zu Ende. Dort wurden die Schätze auf Schiffe umgeladen, die dann nach Europa segelten.“

Blick zurück auf das Boot, das uns vor wenigen Minuten am Nordufer des Alajuelasees, dem Ausgangspunkt unserer langen Tagesetappe, abgesetzt hat.

Der Österreicher Christian Strassnig widmete 20 Jahre seines Lebens der Erforschung des Camino Real. Wie kein zweiter Europäer kennt er Details über die historische Handelsroute: „Der Camino Real ist ein Vorgänger des Panamakanals, eine der meistgenutzten Wasserstraßen der Welt.

Er wucherte zu und wurde vergessen

Über 350 Jahre transportierten spanische Kolonialisten hauptsächlich Gold und Silber aus Südamerika über den schmalen Landstreifen zwischen Pazifik und Atlantik. Mit der Fertigstellung der Eisenbahn 1855 wurde der Camino Real überflüssig. Er wucherte zu und wurde vergessen. Gut 150 Jahre lang. Erst 2008 entdeckte eine Expedition, an der ich teilnahm, die originale Route wieder. Heute bietet dieses verborgene Juwel abenteuerlustigen Wanderern eine einzigartige Reise in die Vergangenheit.“

Immer wieder belohnt die Natur entlang des Camino Real mit herrlichen Ausblicken auf den Fluss und in den prachtvollen Regenwald.

In Panama-Stadt beginnt die Tour

Der Startpunkt unserer Reise liegt also genau hier, am Fuße des Turms der Kathedrale von Panama Viejo. Hier belud man bis zu 300 Maultiere mit jeweils 100 Kilo Gold und Silber. Treiber führten jeweils zwei bis drei Tiere. Soldaten sicherten die Karawane, die Waren mit einem heutigen Marktwert von etwa 30 Millionen Euro transportierte.

„Das sind Überreste vom Camino Real“

Das quirlige Panama-Stadt hat die Überbleibsel des Camino Real längst verschluckt. Daher fahren wir mit dem Bus zum Alajuelasee und besteigen dort ein Boot. Und wo ist nun der Camino? „Der liegt hier größtenteils unter Wasser. 1935 wurde der Alajuelasee als 50 Quadratkilometer großes Wasserreservoir für den Panamakanal und zur Stromerzeugung angelegt“, erklärt Christian.

Täglich weit über acht Stunden wandern wir auf dem Camino Real in Panama – durch knöcheltiefen Matsch, steile Anhöhen herauf und herab, durch mit Macheten freigehauende Pfade und knietiefe Flüsse – das stellt höchste Anforderungen an Schuhwerk und Bekleidung. An die Physis sowieso.

Wir legen am Ostufer des Alajuelasees an. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt heben sich hellbraune Steine deutlich vom Untergrund ab. „Das sind die Überreste vom Camino Real“, sagt Christian, „hier war er bis zu drei Meter breit. Die Randsteine sind noch gut zu erkennen.“ Dann kramt er in seiner Hosentasche und zeigt uns auf seiner Handfläche Nägel, Sporne und Fragmente von Hufeisen. „Die habe ich alle hier in der Nähe gefunden.“

„Ab morgen, im Regenwald, versteht ihr, was ich meine.“

Und warum wurde ein Steinpfad angelegt? Christian erklärt weiter: „Ohne Steine wären die Maultiere im Morast versunken oder ständig ausgerutscht. Ab morgen, im Regenwald, versteht ihr, was ich meine. Jetzt geht’s zum Nachtlager.“

Eisengegenstände, die zwischen dem Kopfsteinpflaster des Camino Real gefunden wurden: Fragmente von Hufeisen und Nägeln (Foto von Christian Strassnig).

Langsam fährt das Boot einen Seitenarm des Sees entlang. Schilf, Wasserlilien und andere Seepflanzen rücken näher. Wir scheuchen unzählige Seevögel auf: Fischadler, Silberreiher, Fledermausfalken, Sonnenrallen. Sie alle suchen im flachen Wasser nach Fischen, Fröschen, Regenwürmern, Schnecken, Insekten, Krebstieren.

Quebrada Ancha, ein letztes Stück Zivilisation

Der Seitenarm wird schmaler, wir passieren einen jungen Krabbenreiher, der vom Boot eines Dorfbewohners nach Futter späht. Auf einer Anhöhe werden Hütten sichtbar. „Quebrada Ancha, ein letztes Stück Zivilisation, bevor wir endgültig in den Dschungel eintauchen.“ Christian klingt ein wenig dramatisch.

Überraschender Regenschauer – und herrliche Abkühlung – während der Überfahrt auf dem Alajuelasee.

Die Wanderung auf dem Camino Real ist herausfordernd

3.30 Uhr am nächsten Morgen. In der Ferne grunzen Brüllaffen, im Dorf schmettern Hähne erste Grüße. Nach Sonnenaufgang fahren wir mit dem Boot zur Nordspitze des Sees, um dort die gestrige Route wieder aufzunehmen. Ein elegant watender Blaureiher lässt sich von uns nicht stören, auch nicht das Zwergsultanshuhn, das mit leuchtend blauem Gefieder, rotem Schnabel mit gelber Spitze und hellblauem Stirnschild ein bisschen anzugeben scheint.

Der Regenwald verschluckt uns

Christian setzt uns ab und kehrt mit dem Boot zurück, um uns in ein paar Tagen wieder in Portobelo in Empfang zu nehmen. Nach wenigen Minuten wird es dunkel: Der Regenwald verschluckt uns.

Nach kurzer Zeit auf rutschigen Pfaden, steilen Hängen und in wuchernden Flusstälern bei konstant hoher Luftfeuchtigkeit ist allen klar: Diese Expedition erfordert Willensstärke und Durchhaltevermögen. Alle 90 Minuten wringe ich das mit Schweiß vollgesogene Handtuch aus, das um meinen Hals hängt.

Ein Zwergsultanshuhn auf Nahrungssuche im seichten Wasser nahe des Ufers des Alajuelasees.

Gegen Mittag erreichen wir eine Lichtung, die ein letztes, vollständig intaktes Stück des Camino freigibt. Dicht an dicht liegen die klobigen Pflastersteine aneinander, begrenzt durch größere, höhere Randsteine. Wandergenosse Alex kommentiert: „Dieses Wegstück befindet sich auf Privatbesitz. Wir können nur hoffen, dass die lokalen Farmer, die Campesinos, den Weg nicht abtragen, um die Fläche für Viehzucht zu nutzen.“

„Alles Grüne bis zum Horizont gehört mir“

Eine halbe Stunde später machen wir Rast auf einem Hügel, vor einer Finca. Sie gehört einem Campesino wie aus dem Bilderbuch: Genaro Hernandez, 84 Jahre alt. Er lebt seit den frühen 60er-Jahren hier im Chagres-Nationalpark. Von seinem Pferd schaut er neugierig und ein wenig belustigt auf uns schwitzende Wanderer herab. „Alles Grüne bis zum Horizont gehört mir“, sagt er nicht ohne Stolz, „sonst kann ich nichts!“ Das ist stark untertrieben. Etwa 100 Kühe nennt er sein Eigen. Für ein Tier kann er umgerechnet bis zu 1.300 Euro erlösen.

Ein ‚Campesino‘ (lokaler Farmer) wie aus dem Bilderbuch: Genaro Hernandez, 84 Jahre alt, lebt seit den frühen Sechzigerjahren nahe dem Camino Real, mitten im Chagres-Nationalpark.

Den scharfen Augen von Alex, Molinar, Irvin sowie dem Träger und Begleiter Eduviges de Leon entgeht kaum etwas. Sie entdecken den wunderschönen Schmetterling Adelpha cytherea und die winzige Spinne namens Micrathena sagittata. Die leuchtenden Farben dieses gerade mal ein Zentimeter großen Tieres helfen vermutlich, Beute anzulocken, während die Stacheln am Hinterleib der Verteidigung dienen.

Dann endlich, nach weit über acht Stunden Nettowanderzeit, erreichen wir unser Nachtlager: Eine Ackerfläche als Zeltplatz und eine offene Scheune mit einfacher Kochstelle. In der Nähe fließt der glasklare Boquerón. Alle Wandergäste springen hinein.

„Die Spinnennetze können zwei Meter Durchmesser erreichen“

Exotische Tiere lärmen im Regenwald

Am nächsten Tag, nach einer Stunde Wanderung, führt der Weg über karminroten Boden. Alex erklärt: „Das ist Sand von Blattschneiderameisen. Sie tragen ihn aus ihren Bauten, die tief und verzweigt sind und bis zu zwei Millionen Ameisen beherbergen.“ Immer wieder verfängt sich jemand in Spinnennetzen, auch in besonders klebrigen. „Das war wohl von einer Goldenen Seidenspinne“, vermutet Alex. „Ihre Netze können zwei Meter Durchmesser erreichen. Die Seide ist stabiler als Nylon. Manchmal verfangen sich Kolibris und Jungvögel darin.“

Nach mehr als acht Stunden Wanderung auf dem Camino Real bei etwa dreißig Grad erreichen wir unser Nachtlager. In der Nähe fließt der Boquerón, in dem wir uns abkühlen.

Klebrig ist auch die Kleidung an unseren Körpern. Jeder geht schweigend und schwitzend, fokussiert auf den nächsten Schritt. Das Rauschen des Flusses begleitet uns, ergänzt durch Zirpen, Quietschen, Knacken, Surren, Piepsen, Grunzen. Der dichte Primärregenwald fordert Schweiß, Kraft, Ausdauer. Ohne all das kein Erlebnis, keine Tiefe, kein Abenteuer.

Alles von Menschen Geschaffene ist vergänglich

Maultiertreiber und Soldaten nahmen über Jahrhunderte die gleiche Naturgewalt wahr, hörten das gleiche Klangspektrum. Heute sind kaum noch Spuren des Camino im Regenwald zu finden. Die Steine sind abgerutscht, überwachsen, verschüttet. Auch das ist eine Erfahrung: Alles von Menschen Geschaffene ist vergänglich.

Ein etwa ein Zentimeter großes Exemplar der Spinnenart Micrathena sagittata: Die leuchtenden Farben helfen vermutlich, Beute anzulocken, während die Stacheln der Verteidigung dienen.

Am Nachmittag hören wir Donnergrollen. „Bitte kein Regen“, dieser Gedanke zeigt sich auf allen Gesichtern. Zum Glück bleibt es trocken. Niemand möchte erleben, wie sich der Weg bei Starkregen in eine Schlammwüste verwandelt. Auf einmal ist hackendes Klopfen zu hören. Ein Schläfenfleckspecht sucht in der Rinde eines Baumes nach Ameisen, Käfern oder Larven. Minuten später zeigt sich ein passiver Kollege: ein Plattschnabelmotmot. Der sitzt regungslos im Baum und wartet auf vorbei schwirrende Insekten.

Ein Rotaugenlaubfrosch, der uns mit seinen riesigen Augen zu hypnotisieren scheint

Alex ist auch nach Einbruch der Dunkelheit nicht zu bremsen. Mit Taschenlampe sucht er nahe unseres Nachtlagers nach Amphibien. Beglückt kehrt er mit zwei Exemplaren zurück: einem Bananenbaumfrosch, der in Höhen bis 2400 Meter leben kann, und einem Rotaugenlaubfrosch, der uns mit seinen riesigen Augen zu hypnotisieren scheint.

Ein Rotaugenlaubfrosch. Wenn man ihn am Hinterteil berührt, weitet er seine Augen.

Portobelo ist Unesco-Weltkulturerbe

Der letzte Wandertag führt entlang des Flusses Cascajal. Nach sechs Stunden erreichen wir eine Hauptstraße, wo uns ein Bus zum Endpunkt des Camino Reals bringt: die Bucht von Portobelo, von Kolumbus 1502 entdeckt. Hier nahmen spanische Schiffe die über den Camino transportierten Schätze auf und segelten sie nach Europa.

Hier starb der berühmte Pirat Francis Drake

Portobelo ist Unesco-Weltkulturerbe, ein geschichtsträchtiger Ort, wo man in dessen Verteidigungsanlagen, im königlichen Zollhaus und auf seinen Plätzen in die Vergangenheit reisen kann. Der englische Pirat Francis Drake, Namensgeber der Drake-Passage, griff Portobelo wegen seiner Schätze an. Tage später starb er an einer Darminfektion und wurde vor der Küste Portobelos bestattet.

Unter dieser offenen Scheue schützen wir uns vor Regen, bereiten das Essen zu und befestigen Hängematten. Im Hintergrund ist schon dichter Regenwald zu erkennen.

Jetzt sitzen wir Wandergenossen geduscht und mit kühlem Bier auf der Hotelterrasse und blicken auf die Bucht von Portobelo. In der Rückschau waren die Wanderstrapazen während der vier Tage vom Pazifik zum Atlantik gar nicht so strapaziös, so scheint es.

Ein solches Abenteuer kann man nur hier erleben

Die jahrhundertealte Geschichte der Kolonialgebäude, die sagenhaften Silber- und Goldschätze, der intakte Regenwald, die faszinierende Flora und Fauna – all das war und ist so umwerfend, dass jeder die Anstrengungen vergisst und stolz ist, ein bisschen an den eigenen Grenzen gerüttelt zu haben. Ein solches Abenteuer kann man nur hier erleben.

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