Veröffentlichung im Business Punk-Magazin

Südafrika – Wo Elefant, Büffel und Löwe sich guten Tag sagen

1. März 2020
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Kategorien: Alle | Publikationen | Südafrika
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Premiere!
Premiere!
17 Min.Sabbaticals gegen die Office-Langeweile gibt es in allen Formen, doch die Ausbildung als Ranger im Kruger-Nationalpark in Südafrika ist die Platin-Variante. Ein leider viel zu kurzer Erfahrungsbericht.

Erschienen in:

Business-Magazin für die CEOs von morgen
Reportage | 5 Seiten | Text & Fotografie

Wo Elefant, Büffel und Löwe sich guten Tag sagen

Die Löwin gerät in mein Blickfeld. Sie schaut sich um, blickt mich direkt an. Mein Herz rast. Und dann tut sie etwas, was ich nie vergessen werde: Sie brüllt! Uns trennen 25 Meter. Die Löwin könnte in drei Sekunden bei mir sein. Shit, denke ich. Meine Güte, was tue ich mir hier eigentlich an?

Aber nachts kommen gerne Elefanten und Hyänen vorbei.

Antwort: Ich lasse mich im Krüger Nationalpark in Südafrika zum Ranger ausbilden. Dabei ist die Konfrontation mit Tieren nun einmal zentraler Bestandteil.

Unser Camp besteht aus ein paar Holzhütten mit Stelzen und Reetdächern und jeder Menge Tiere, die hier durchspazieren. Nicht unbedingt immer Löwen. Aber nachts kommen gerne Elefanten und Hyänen vorbei.

Bruce Lawson – Field Guide seit 1992 mit über 18.500 Stunden protokollierter Wildniserfahrung – zählt zu den beeindruckendsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen haben: „Die Wildnis, die Natur haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin.“

Zurück zum Anfang des Tages: Zum Frühstück gibt es Rusks, eine Art Zwieback, nur viel härter. Dann lauscht der Ranger-Nachwuchs dem Briefing von Lead-Guide Bruce: Wir sind die nächsten drei Tage draußen und schlafen unter freiem Himmel. Bruce sagt: „Gebt mir jetzt eure Uhren. Die werdet ihr da nicht brauchen.“

Als Drittes kommt das Greenhorn der Gruppe: ich.

Denken wie ein Tier

Bruce ist die Art von Mensch, der man besser nicht widerspricht. Also stapfen wir im Gänsemarsch los: Bruce vorneweg, dahinter Nep, der Backup-Guide. Nep blickt sich alle fünfzig Schritte nach der Gruppe um und passt auf, dass niemand aus der Reihe tanzt oder zurückfällt. Bruce und Nep tragen scharf geladene Gewehre mit sich. Als Drittes kommt das Greenhorn der Gruppe: ich. Hinter mir sechs Ranger-Anwärter, die meisten davon schon mit wochenlanger Ausbildung auf dem Buckel. Zwei stammen aus Südafrika, die anderen aus Indien, Deutschland und Frankreich.

Auf dem Weg zum Schießplatz Moholoholo. Die Entfernungen sind lang in Südafrika.

Wir tragen oliv- und khakifarbene Klamotten, Hüte, Wanderstiefel, dazu Rucksack, Trinkbeutel und Isomatte. Einige Anwärter sind fast am Ende ihrer 55-tägigen Ausbildung zum „FGASA Field Guide Level 1“. Nach bestandener Theorie- und Praxisprüfung dürfen sie dann Gäste mit auf Safari nehmen, allerdings nur in Geländewagen.

„Versetzt euch in das Tier. Lernt, wie das Tier zu denken.“

Wer Besuchern die Wildnis zu Fuß nahebringen möchte, muss noch den „Wilderness Skills Course“ inklusive Schießausbildung machen. Dabei stehen Begegnungen mit wilden Tieren im Vordergrund, Anwärter sollen korrekte Verhaltensweisen lernen und Erfahrungen machen. In diesem Kurs bin ich jetzt – nur dass ich eben keinerlei Vorwissen habe.

Bruce umkreist mit seinem Holzstock Fußspuren und Kot von Hyänen, Buschschweinen, Büffeln, Buschböcken, Stachelschweinen, Elefanten und Leoparden: „Achtet nicht allein auf die Spur. Fragt euch: Wo kommt das Tier her, wo will es hin? Versetzt euch in das Tier. Lernt, wie das Tier zu denken.“

(Foto von Stephane Zemiro) Ein Blick, den wohl niemand von unserer Gruppe vergisst: Wir werden von einem wilden Löwen taxiert.

In der ersten Pause lerne ich die wichtigste Regel: In kritischen Begegnungen niemals weglaufen! Wer wegläuft, offenbart sich als Fluchttier und ist verloren. Stattdessen dem Tier Raum geben und Raum für sich behaupten – das soll Respekt und Gleichgewicht schaffen. An einem Wasserloch entdecken wir dann Tausende von Spuren von Elefanten, Antilopen und Nashörnern. Die Savanne ist voll, doch Tiere bekommen wir nicht zu Gesicht. Noch. Am späten Nachmittag stehen wir am Rande einer riesigen Sandfläche. „Da drüben ist Simbabwe“, sagt Bruce und deutet dann nach Osten: „Da liegt Mosambik.“ Seine Hand zeigt auf eine Stelle am Wüstenrand: „Und da schlagen wir unser Nachtlager auf.“

„Die können Wasser riechen, also müsste da welches sein.“

„Ach so, die Wüste hier vor euch, das ist der Limpopo, einer der mächtigsten Ströme Afrikas.“ Ich mag meinen Augen kaum trauen: Keinen Tropfen Wasser führt der Fluss.

Bruce sagt: „In der Trockenzeit ist hier nichts zu sehen, aber Ende Februar fließt das Wasser von Ufer zu Ufer.“ Und wo bekommen wir jetzt Wasser her? „Da vorn“, sagt Nep und deutet auf ein Loch im sandigen Limpopo, „da hat schon ein Elefant gebuddelt. Die können Wasser riechen, also müsste da welches sein.“ Und tatsächlich, nach einem halben Meter schweißtreibender Buddelei stoßen wir auf Wasser. Vorsichtig schöpfen wir es mit einem Becher heraus.

Nach dem Dinner wird im Nachtlager die Wache eingeteilt, ich bin von drei bis vier Uhr dran. „Haltet das Feuer am Brennen“, belehrt uns Bruce. „Und stellt euch so vor das Feuer, dass es euch erleuchtet.“

Nur wenige Meter hinter dem Punda Maria Gate, einem Zugang zum Klrüger Nationalpark, treffe ich auf eine Giraffenmutter mit ihren Kälbern.

Lead Guide Bruce ist ein Mensch, der ohne viel zu sagen viel erklären kann.

„Die Tiere können euch so von Weitem erkennen und kommen dann nicht näher.“ Alle? „Die meisten jedenfalls.“

Es ist drei Uhr, meine Nachtwache beginnt. Eigenartig: Einerseits genieße ich die Ruhe und das knackende Feuer, andererseits glaube ich wegen der lauernden Gefahren viel intensiver zu hören: Es rauscht in den Gehörgängen, als ob dort die Lautstärke voll aufgedreht ist.

Plötzlich Grummeln und Rumpeln. Fuck, welches Tier ist das? Nach zwei Schrecksekunden erkenne ich, dass es sich um meinen Magen handelt.

„Wenn auch nur ein Reiskorn liegen bleibt, ist es keine Wildnis mehr.“

Am nächsten Morgen säubern wir unseren Rastplatz penibel. Auch das gehört zum Ranger-Dasein. Bruce: „Wenn auch nur ein Reiskorn liegen bleibt, ist es keine Wildnis mehr.“

Eine Stunde nach Abmarsch verschnaufen wir unter einem Affenbrotbaum. Die Bäume speichern bis zu 100 000 Liter Wasser. In der Trockenzeit werden sie von Elefanten aufgesucht. Sebastian, einer der angehenden Field-Guides, klärt mich weiter auf: „Sie kratzen die Rinde mit den Stoßzähnen auf und fressen die feuchten Fasern darunter.“

Während des Wilderness Skills Course werden viele Kenntnisse vermittelt, die in keinem Lehrbuch stehen. Kim hält das frisch erworbene Wissen in ihrem Notizbuch fest.

Der 46-jährige arbeitet als Produktmanager in einem Pharmaunternehmen und leistet sich für seine Ranger-Ausbildung ein einjähriges Sabbatical. „Vor zehn Jahren fing alles an“, sagt er. „Ich habe mich hier verliebt. Die Wanderung von Millionen Gnus in der Massai Mara in Kenia – da geht keiner unbeeindruckt raus.“

Nach ereignislosen Stunden reißt Bruce plötzlich seine Handfläche nach oben.

Sebastian war seitdem regelmäßig in Afrika. Drei, vier Wochen waren aber immer zu wenig. Er wollte länger bleiben und mehr lernen. „Jetzt genieße ich jede einzelne Sekunde.“

Plötzlich ein Knacken im Unterholz. Buschwipfel schwanken, Bruce legt seinen Zeigefinger auf die Lippen. Ein Elefantenbulle taucht auf. Uns trennen keine 30 Meter. Er bricht Äste ab und kaut, schaut zu uns herüber. Nach zwei Minuten ist er verschwunden. Ich höre mich deutlich ausatmen.

Büffelzeit

Nachdem wir am nächsten Morgen unsere Bäuche mit Porridge gefüllt haben, brechen wir auf. Nach ereignislosen Stunden reißt Bruce plötzlich seine Handfläche nach oben. Wir lernen: In einer Sekunde kippt der Schalter.

Ganz in der Nähe unseres zweiten Nachtlagers sucht Backup Guide Nep die Wildnis nach Tieren ab und entdeckt dabei eine Herde Kaffernbüffel.

Bruce fixiert eine Stelle etwa 30 Meter vor uns. Hinter mannshohem Gras ist ein riesiger Büffel von der Seite auszumachen.

Es ist ein „Dagga Boy“. Dagga ist das Zulu-Wort für Schlamm, in dem sich die Tiere gerne wälzen. Diesen Einzelgängern fehlt der Schutz der Herde, sie sind anfälliger für Löwen-Angriffe – das macht sie besonders aggressiv.

Es gibt nur eine Chance: Der Schuss muss sitzen und zwischen den Augen landen.

Mucksmäuschenstill schleichen wir uns deshalb im großen Bogen hinter dem Kaffernbüffel vorbei. Deutlich erleichtert, lege ich das letzte Stück ins Camp zurück. Duschen, packen; ein Minivan bringt uns zur Schießübung ins Selati Camp.

Königsdisziplin ist der Lion Charge. Das ist ein simulierter Löwenangriff. Dabei rast eine Scheibe mit Löwenfoto mit einer Geschwindigkeit von zehn Metern pro Sekunde auf uns zu.

Es gibt nur eine Chance: Der Schuss muss sitzen und zwischen den Augen landen. Wer das nicht schafft, fällt durch. Vielen reichen die Stunden auf dem Schießplatz nicht und legen bis nach Einbruch der Dunkelheit noch Überstunden ein.

Ich genieße fantastische Aussichten im Blyde River Canyon.

Jeder weiß: Ohne bestandene Schießprüfung gibt es keinen Job als Guide. Heute steht „Advanced Rifle Handling“ auf dem Programm. Wir üben wir zuerst mit kleineren Waffen und schießen dann mit großkalibrigen Gewehren, die auf den Walking Safaris mitgeführt werden.

Kurz nach Sonnenaufgang starten wir einen weiteren Bush Walk. Wir umkreisen ein Wasserloch und schreiten auf einer dicht bewachsenen Anhöhe auswärts. Guide Ross flüstert: „Löwen!“ Wir blicken durch ein buschfreies Stück, von links erscheint die eingangs erwähnte Löwin, sie dreht sich zu uns.

Ihr Brüllen – unvergesslich: Laut. Rau. Brutal. Nach ein paar Sekunden verschwindet sie mit einem Löwen im Schlepptau.

Plötzlich preschen die Löwen genau dorthin, wo wir Ross vermuten.

Ross führt uns parallel zu den Löwen weiter. Stopp. Jetzt sehen wir die beiden im Dickicht. Ross geht allein weiter, Backup Christiaan bleibt bei uns, das Gewehr in beiden Händen. Ross pirscht sich in einem Halbkreis vor die Löwen. Er verschwindet aus unserem Sichtfeld. Plötzlich preschen die Löwen genau dorthin, wo wir Ross vermuten.

Löwengebrüll. Ross schreit: „Hey! Hey!“ Was ist da los? Nach einer langen Minute kommt Ross wieder. Er lächelt. Ross sagt: „Das waren Späher. Das Rudel mit etwa zehn Tieren ist 100 Meter weiter hinten.“

Ein Elefant schreckt dieses junges Zebra auf, welches im dichten Gras ein Nickerchen abgehalten hat. Es stapft zu uns herüber und schaut uns verloren an. „Es sucht seine Herde“, sagt Bruce „das Kleine ist gerade mal drei, vier Monate alt“. Langsam trabt es weiter und verschwindet im Gebüsch. Viel Glück, kleines Zebra.

Er sagt, dass die beiden Löwen von uns verwirrt waren und Ross sie nervös machte: „Löwen mögen es nicht, eingekesselt zu sein, darum sind sie rausgeflitzt. Übrigens: Es war nicht so gefährlich, wie es vielleicht ausgesehen hat. Die waren auf der Durchreise, nicht auf der Jagd.“ Mag sein. Mag auch sein, dass wir bei Löwen nicht auf dem Speisezettel stehen. Trotzdem scary.

Wer einem wilden Tier auf Augenhöhe begegnet, wird ein anderer.

Sabbatical-Mensch Sebastian formuliert es später so: „Der Busch lehrt mich, immer voll konzentriert zu sein und alle meine Sinne einzusetzen. Ich bin hier ständig am Riechen, Hören, Schauen, Tasten. Ich besitze hier viel weniger als zu Hause, trotzdem fühle ich mich ganzer.“

Ich verstehe, was er meint. Wer einem wilden Tier auf Augenhöhe begegnet, wird ein anderer. Mag meine Karriere als Ranger auch kurz sein, dieses Erlebnis werde ich noch lange in Erinnerung behalten.

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